Drinnen und Draußen

Die Gefangenengewerkschaft macht sich für die Rechte von Inhaftierten stark

Für die Rechte von Inhaftierten: Marco Brás dos Santos © kreuzer
Ein Bericht über Freiheitskämpfe hinter Gittern und die bundesweite Gefangenengewerkschat, die sich für die Rechte von Inhaftierten einsetzt.

An einem Samstag im April darf die Öffentlichkeit einen Blick in die Justizvollzugsanstalt Leipzig werfen. Jeder Abschnitt ist mit Zwischentüren abgesperrt, jeder Treppenaufgang doppelt gesichert. In den Freizeiträumen wie Atelier, Trainingsraum oder Bibliothek scheint die Luft bereits seit einiger Zeit zu stehen. In einer Zwei-Mann-Zelle kann man sich zwischen Bett und Tür nicht ohne Probleme um die eigene Achse drehen. Aus den vergitterten Fenstern sieht man entweder auf das gegenüberliegende Wohngebäude mit weiteren Zellen oder auf ein Stück mit Müll bedecktes Gras, direkt dahinter Maschendrahtzäune mit Stacheldraht.

Georg Huß blieb selbst dieser Blick nach draußen verwehrt. Tageslicht kam in seine Zelle nur durch ein Fenster ganz oben an der Wand, hinausschauen konnte man nicht. Der gebürtige Bayer saß eine mehrjährige Haftstrafe in der Justizanstalt Graz-Karlau in Österreich ab, weil er Cannabis anbaute, über 100 Pflanzen besaß und von ihnen erntete. Doch Huß musste nicht bis zum Ende bleiben. Er wurde zwei Jahre früher entlassen. »Die wollten mich schnellstmöglich wieder loswerden«, sagt er und grinst.

Leipzig-Connewitz

Im Ladenlokal Linxxnet am Connewitzer Kreuz trifft sich die Gefangenengewerkschaft, eine bundesweite Organisation, die grundlegende Arbeitnehmerrechte für Inhaftierte durchsetzen will. Huß hat sie mitgegründet, als er noch einsaß. Er sei kein einfacher Häftling gewesen, erzählt er. Gemeinsam mit anderen Inhaftierten habe er in Graz-Karlau »ziemlich aufgeräumt«. Weil er nach seiner Haft ausgewiesen wurde, darf er nicht mehr nach Österreich einreisen. Zehn Jahre gilt dieses Verbot. »Als EU-Bürger habe ich gewisse Rechte, die oftmals in der Justiz nicht beachtet werden. Aber ich stehe für meine Rechte ein. Und je mehr Häftlinge das tun, desto mehr muss die Justiz mit ihren menschenunwürdigen Maßnahmen im Knast aufhören,« sagt Huß.

Wenn Huß heute mit seinen Genossen entspannt bei Kaffee und Gebäck diskutiert, sieht man ihm nicht an, dass er aus Protest gegen die Haftbedingungen im Hungerstreik war. Mit seinem Kampf und mit dem Zusammenschluss mit anderen Häftlingen habe er erreicht, dass die Leitung der Justizanstalt in Graz-Karlau ausgetauscht wurde, erzählt er.

Drei Forderungen haben er und seine Mitstreiter für alle Inhaftierten

Die Freiheit, sich einer Gewerkschaft eigener Wahl anzuschließen, die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns und volle Sozialversicherung für Beschäftigungsverhältnisse hinter Gittern. Zwischen 800 und 1.000 Mitglieder hat die Organisation inzwischen, die meisten davon sitzen im Gefängnis. Doch auch vor den Mauern haben sich Gruppen formiert, eine davon in Leipzig. Ihren Fokus legen die Gewerkschafter auf parlamentarische Arbeit. In Sachsen musste die Regierung nach einem Antrag der Linkspartei vor Kurzem die Gefangenengewerkschaft offiziell anerkennen. Das habe sie nur widerwillig getan, meint der Leipziger Marco Brás dos Santos.

Die Repressivinstitution Gefängnis sieht es nicht gerne, wenn ihre Arbeit in die Öffentlichkeit gelangt.

Hinter den Mauern 

Hinter den Mauern passieren eine Menge Dinge, von denen die Öffentlichkeit wenig bis nichts erfährt. Beim Rundgang durch die JVA Leipzig fällt etwa ein kleines Schild auf. Das hängt in dem Raum, in dem Gefangene bei der Inhaftierung registriert werden und ein Tablett mit Geschirr sowie Handtücher und Bettwäsche bekommen. »Entlassung / Abschiebung«, steht auf dem Zettel. Was das bedeuten soll, will keiner der Angestellten sagen. Erst auf Nachfrage im Landtag zeigt sich, dass 2015 vier von über 80 inhaftierten Nicht-EU-Ausländern aus dem Gefängnis heraus abgeschoben worden sind. Das ist zwar nicht überdurchschnittlich viel. Allerdings, das zeigt die Anfrage auch, gibt es viel zu wenige Sprachmittler in sächsischen Knästen und kaum Integrations- und Sprachkurse für Geflüchtete hinter Gittern.

Vor den Mauern

Vor den Mauern der Gefängnisse ist die Gewerkschaft viel mit Vernetzungsarbeit beschäftigt. »Das öffentliche Zerrbild von Gefängnissen und Häftlingen muss korrigiert werden, um zu einer erfolgreichen Resozialisierung kommen zu können«, sagt Brás dos Santos. So läuft die Gewerkschaft beispielsweise beim Frauenkampftag mit einem Transparent mit oder ist bei der Demonstration des Asylum Seeker Movements dabei. Durch solche Veranstaltungen werde auch Inhaftierten die Möglichkeit gegeben, sich zu politischen Themen zu positionieren. Das sei wichtig, um die vom Staat angestrebte Isolation der Inhaftierten zu durchbrechen.

Bei alldem dürften aber auch die Inhaftierten nicht vergessen werden, findet Huß. »Gefangene führen drinnen ihre Kämpfe für mehr Gerechtigkeit. Doch das Feedback von draußen fehlt, das führt schnell zu Resignation«, sagt er. Jeden ersten Sonntag im Monat trifft sich die Leipziger Soli-Gruppe im Linxxnet zum gemeinsamen Briefeschreiben an Häftlinge. Vertrauen und Verbindlichkeit seien wichtig, da die meisten Briefe sehr persönlich sind.

Die Gefangenengewerkschaft bezeichnet sich selbst als emanzipatorisch und spricht sich klar gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit aus. Aber: »Unsere Forderungen wie zum Beispiel die Einführung des Mindestlohns betreffen alle Inhaftierten, auch wenn sie aus dem rechten Milieu kommen«, erklärt Brás dos Santos. Besonders in ostdeutschen Knästen seien rechte Strukturen jedoch ein so großes Problem,

dass die Gewerkschaft manchmal darüber nachdenke, ihr Projekt hier ruhen zu lassen. Trotzdem sei es gerade der antifaschistische Anspruch der Gewerkschafter, sich der »braunen Soße« zu widmen. Allerdings entscheide jeder Aktive selbst, wie stark er sich für jemanden einsetzt, der ein Nazi oder ein Vergewaltiger ist. »Moralische Konflikte gibt es immer wieder und das Thema wird bei jedem Treffen neu diskutiert«, sagt Brás dos Santos.

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