War Deutschland mitschuldig am Genozid in Ruanda? In umfangreichen Recherchen hat der Autor Arndt Peltern Zeitzeugen getroffen und Akten ausgewertet. Die Ergebnisse sind vernichtend: Überraschend kam der Völkermord nicht. Doch die deutschen Behörden hüllen sich in Schweigen.
Interviewfragen von Louisa Mugabo. Text gemeinsam mit Philipp Lemmerich.
Arndt Peltner, 1968 in Würzuburg geboren, lebt als Journalist und Autor in Oakland, USA. Für sein Hörfunk-Feature “Dass es knallte, bekam man mit” (SWR 2013) untersuchte er eineinhalb Jahre lang die deutsche Rolle während des Genozids in Ruanda 1994. Trotz der Brisanz seiner Ergebnisse fand seine Veröffentlichung kaum Gehör. Ein Gespräch über Geschehnisse in Ruanda, die deutsche Afrikapolitik und den deutschen Medienmarkt.
JournAfrica!: Herr Peltner, zwischen 2011 und 2013 haben Sie zum Genozid 1994 in Ruanda recherchiert. Wie kam das Interesse für dieses Thema?
Arndt Peltner: 1994 habe ich einiges über die Geschehnisse in Ruanda gelesen. Richtig begriffen, was da vor sich geht, habe ich aber nicht. In den Medien wurde das stark als Bürgerkrieg oder Stammesfehde dargestellt, nach dem Motto: “Da hauen sich eben gerade zwei Parteien die Köpfe ein.” So wie es den Medien zufolge in Afrika eben immer ist. Vor etlichen Jahren bin ich dann selbst nach Ruanda gefahren, und dort ist mir aufgefallen, dass internationale NGOs überdurchschnittlich stark vertreten sind. Viele davon kamen aus Deutschland, und das nicht erst seit gestern – die Kooperation Rheinland-Pfalz und Ruanda geht bis in die Mitte der achtziger Jahre zurück. Und auch vor dem Genozid waren sie vor Ort. Ich wollte also wissen: Was haben sie gewusst, was haben sie mitbekommen und was haben sie dagegen gemacht?
Mit welchen Institutionen und in welchem Umfang war Deutschland denn unmittelbar vor dem Genozid in Ruanda vertreten?
Schon zu Beginn meiner Recherchen wurde recht schnell klar, dass die Deutschen vor dem Genozid in Ruanda sehr präsent waren: Da war das Rheinland-Pfalz-Büro, die deutsche Botschaft, die Konrad-Adenauer-Stiftung, die Deutsche Welle. Die GTZ, wie sie damals noch hieß, und der DED waren mit verschiedenen Projekten dort. Die Deutschen waren somit sehr gut vernetzt im Land. Wenn man sich die Literatur über den Völkermord ansieht, findet man eine nahezu einhellige Einschätzung: Es war im Vorfeld klar, dass es zu Gewalttätigkeiten kommen würde. Nur wollen die Deutschen davon nichts mitbekommen haben. Also entschied ich mich zu recherchieren. Das Ergebnis war erschütternd: Im Gegensatz zu den Darstellungen der deutschen Seite lagen die Informationen sehr wohl vor. Es hätte Möglichkeiten zum Eingreifen gegeben.
Das Auswärtige Amt belegt seine Akten mit einer Sperrfrist von 30 JAhren. Der Großteil der Beteiligten würde sich in der Öffentlichkeit wohl keine Fehler eingestehen. Wie schwierig war es, an Zeitzeugen und relevante Dokumente zu kommen?
Ich hatte Glück. Durch meine Reisen nach Ruanda kannte ich ein paar Leute, die mir Informationen und Kontakte in Ruanda und Deutschland weitergeleitet haben. Das waren Namen, Adressen, Berichte über Massaker, zum Teil sogar offizielle Korrespondenzen. So konnte ich mir nach und nach einen Reim darauf bilden, wer zu welcher Zeit wo war, was bekannt war in Ruanda und auch in Deutschland.
Unter Ihren Gesprächspartnern befand sich auch der damalige deutsche Botschafter. Er wird wohl kaum von der offiziellen Doktrin abgewichen sein, von allen Geschehnissen in Ruanda völlig überrascht gewesen zu sein.
Natürlich ist es immer schwer, Entscheidungen und Verhalten rückblickend zu beurteilen. Das Problem ist nur, dass ein solcher Rückblick nicht einmal stattgefunden hat: Wie lief das, was hätten wir sehen können, was bedeutet das für die Zukunft? Intern haben solche Fragen nie eine Rolle gespielt. Das Interview selbst war schockierend. Es war schockierend, wie naiv und ohne politischen Instinkt der Mann mit mir sprach. Im Endeffekt war es bezeichnend für die damalige Grundeinstellung der Deutschen. Andere Zeitzeugen erzählten mir das glatte Gegenteil: “Es war offensichtlich. Man hätte hinschauen können, man hätte hinschauen müssen!” Es wurden Berichte geschrieben und an die Botschaft und damit an das Auswärtige Amt, an das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und das Bundesverteidigungsministerium weitergegeben. Vor Ort machte auch die Bundeswehr den Botschafter darauf aufmerksam, dass in den Wäldern gewaltbereite Milizen ausgebildet wurden. Aber der Botschafter hat all das nicht ernst genommen. Eine fatale Fehlentscheidung.
Fehlt es an anderen Stellen ebenfalls am kritischen Rückblick auf die eigenen Rolle?
Ich habe Stellungnahmen von offizieller Seite eingefordert, so zum Beispiel vom Auswärtigen Amt, bei der GIZ – und eben bei der Bundeswehr. Das AA verwies auf die Sperrfrist, bei der GIZ konnte oder wollte man die Archivrecherche nicht zulassen, von Seiten des Verteidigungsministeriums hieß es, es seien keine Akten und Unterlagen mehr zu finden. Bereits ab den siebziger Jahren wurden die Tutsi massiv diskriminiert. Viele flohen schon damals ins Ausland, zum Beispiel nach Belgien. Sie durften nicht dem ruandischen Militär beitreten. All das war bekannt. Und trotzdem ist die Bundeswehr dort geblieben und hat das Militär ausgebildet. Rechtsstaatlich ist das sicher fraglich, aber das ist eine andere Geschichte. Jedenfalls hatte die Bundeswehr Anhaltsüunkte für das, was folgte, und hat die Informationen darüber auch weitergegeben. Einsehen durfte ich die entsprechenden Dokumente allerdings nicht. Sie seinen nicht auffindbar, hieß es. Dennoch konnte ich über Dritte Teile der Berichte einsehen.
Die GIZ und das Auswärtige Amt waren die beiden anderen wichtigen Akteure vor Ort. Sind Sie dort an Informationen gekommen?
Bei der GIZ wimmelte man mich ab mit der Begründung, eine solche Recherche sei zu aufwändig. Das Auswärtige Amt wollte mir nur ein schriftliches Interview geben. Diese Aussagen widersprechen oft dem, was andere Unterlagen sagen oder Zeitzeugen erzählt haben. Die deutschen Behörden haben einiges verbockt und wollen keine Selbstkritik zulassen. Stattdessen verstecken sie sich hinter einer Sperrfrist für Unterlagen, die eigentlich jetzt eingesehen und aufgearbeitet werden müssten. Es macht keinen Sinn, zum 20. Jahrestag des Genozids in Ruanda eine Gedenkstunde im Bundestag abzuhalten und dabei eben nicht deutlich die Rolle Deutschlands und der internationalen Gemeinschaft anzusprechen.
Heute ist Deutschland außenpolitisch sehr präsent, was internationale Krisen und Konflikte angeht. Lassen sich aus Ihren Erkenntnissen auch Rückschlüsse auf die Gegenwart ziehen?
Die Frage ist doch, ob Deutschland etwas dazugelernt hat. Taktisch lässt sich das mit ja beantworten, beispielsweise wurde die KSK, die Spezialeinheit der Bundeswehr gegründet, weil man in Ruanda zum Teil nicht mal die eigenen Landsleute aus eigener Kraft hat retten können. Aber politisch hat man wenig dazu gelernt, vor allem, was Afrika angeht. Afrika ist schlichtweg kein außenpolitischer Fokus. Die jüngsten Reisen von Außenminister Steinmeier und anderen deutschen Politikern lassen zumindest hoffen. Dennoch, im Gegensatz zu Frankreich oder den USA schickt das Auswärtige Amt nicht seine Top-Diplomaten nach Afrika. Die gehen nach Washington, Paris oder London. Zugespitzt formuliert: die Posten in Afrika werden mit Diplomaten besetzt, die am Ende ihrer Karriere noch einmal Botschafter werden möchten. Vor allem an den Schaltstellen fehlt es daher an weit- und umsichtigen Leuten, die relevante Entwicklungen wirklich überschauen könnten. Ich möchte hier betonen, dass es durchaus sehr engagierte und fähige deutsche Diplomaten in afrikanischen Ländern gibt, jedoch stehen diese oftmals auf verlorenem Posten. Es gibt Anzeichen dafür, dass sich das langsam ändert, aber um echte Aussagen darüber zu treffen, ist es noch zu früh.
Die Rolle der internationalen Gemeinschaft in Ruanda 1994 war allgemein sehr problematisch. Vor allem Frankreich, Belgien und die USA standen scharf in der Kritik. Rleativiert dieser Kontext die deutsche Verantwortung?
Aus internationaler Sicht haben sicherlich Frankreich und Belgien die Hauptrolle gespielt: die Franzosen haben das Militär und die Regierung unter Präsident Habyarimana massiv unterstützt, und die Belgier waren als ehemalige Kolonialmacht sehr präsent. Auch die Amerikaner waren sehr aktiv und haben die Tutsi, also die Armee Kagames, in Uganda ausgebildet. Alle drei haben viel gewusst und letztlich nicht geholfen. Die Deutschen saßen aber überall mit am Tisch. Sie waren bei den Botschafterkonferenzen dabei und hatten Zugang zu wichtigen Informationen, auch Geheimdienstinformationen. Deutschland war vielleicht nicht wie die anderen in der Position zu sagen, “wir müssen eingreifen, wir schicken jetzt Soldaten da runter.” Es hat aber ebenso wenig versucht, auf Frankreich, Belgien über die europäische Ebene einzuwirken. Man versteckte sich hinter einer “gemeinsamen EU-Linie”, die es jedoch nie gab. Deutschland ist auch nicht zum Weltsicherheitsrat gegangen, obwohl eindeutige Informationen vorlagen. Es gab Möglichkeiten einzugreifen, die wurden bloß nicht genutzt. Man hat einfach weggesehen. Selbst als das UN-Kontingent an Blauhelmsoldaten von 3000 auf 600 Soldaten heruntergefahren wurde und das Morden schon im Gange war – laut damaligem UN-Befehlshaber General Dallaire ein Freibrief für alles, was folgte – keine Reaktion.
Im vergangenen Jahr wurde das Gedenken an den 20. Jahrestag des Völkermordes auch medial groß aufbereitet. Ein guter Zeitpunkt also, um über Ihre kritischen Recherchen zu sprechen. Wie wurden Ihre Ergebnisse in Deutschland aufgenommen?
Ich hatte auf mehr Interesse gehofft, auch auf eine generelle Debatte zur Rolle der deutschen Außenpolitik, die sich ja durchaus seit den frühen 90er-Jahren geändert hat. Ausgestrahlt hat das Feature letztlich nur der SWR, später hat es dann noch der Bayerische Rundfunk übernommen. Angefragt habe ich überall, doch die meisten Medien haben im Gedenkjar das Gleiche gemacht: einen Korrrespondenten hingeschickt, ÜBerlebende und Täter gefunden und gezeigt, dass das Zusammenleben heute wieder möglich ist. Tiefer gehen und den Hintergrund erforschen, das hat so gut wie niemand gemacht. Selbst die Rolle der internationalen Gemeinschaft oder auch der Kirchen wurden kaum infragen gestellt. Afrika ist einfach nicht besonders relevant in der deutschen und internationalen Berichterstattung. Da nimmt man dann zu einem großen Ereignis wie dem 20-jährigen Gedenken in Ruanda eben nur einen Bericht, und zwar den normalen. Nach den Gründen, nach den geschichtlichen Zusammenhängen zu fragen, wäre da zu aufwendig. Schade, so wurde eine Chance verpasst.
Herzlichen Dank für das Gespräch.